Aktives Beschleunigen
Erweitere deinen Geschwindigkeitshorizont!
Text Ferdinand Vogel
Der Umgang mit dem Speedsystem ist unter Gleitschirmfliegern mit Respekt und Angst behaftet. In fast jeder anderen Sportart heißt es „Speed ist Sicherheit". Nur wir Gleitschirmflieger bremsen uns aus. Spätestens wenn es im starken Wind zwingend erforderlich wird zu beschleunigen, sind viele ungeübt. Außerdem wird es in dieser Ausnahmesituation zudem noch turbulent. Zeit um sich mit dem beschleunigten Gleitschirmflug auseinander zu setzen.
Beschleuniger einstellen
Gerade alte Gurtzeuge machen das Gas geben in der Luft schon von Anfang an zur komplizierten Sache. Was im Liegegurt meist einfach einzustellen ist, wird beim Sitzgurt manchmal zur kompromissvollen Herausforderung. Ein gut eingestelltes Beschleunigersystem muss leichtgängig sein. Die Umlenkrollen dürfen nicht zu klein sein, die Durchführung der Beschleunigerleine muss eine reibungsarme Umgebung bieten, die Position der Umlenkung sollte auch im beschleunigten Flug eine gewohnte Sitzgeometrie zulassen und vor allem muss das Betätigen schnell und ohne händische und optische Hilfe erfolgen können. Die Liste ist lang, doch stimmt nur ein Punkt am eigenen Gurtzeug nicht, wird das schnellere Fliegen ein Rätsel bleiben.
Grundprinzip: Aktiv Beschleunigen
Wer das aktive Fliegen über die Bremsen verstanden hat und anwenden kann, wird sich mit dem aktiven Beschleunigen ebenfalls leichttun – ist es doch fast das gleiche Prinzip. Um Turbulenzen aktiv mit dem Fuß ausgleichen zu können ist ein konstantes, leichtes Beschleunigen erforderlich. Diese Reisefluggeschwindigkeit zur nächsten Thermik ist abhängig von der Polaren deines Schirmes, deiner Erfahrung im Umgang mit Turbulenzen im beschleunigten Flug und der aktuellen vertikal, als auch horizontalen Geschwindigkeit der Umgebungsluft.
Tipp: Betätigen wir das Speedsystem zu schnell auf die Position der Reisefluggeschwindigkeit, gerät das Gesamtsystem in ein Nicken. Nicken kostet Leistung! Selbst bei Hochleistern macht ein langsames Beschleunigen fast 10 m weniger Höhenverlust aus.
Im Folgenden wird das Pendel, Gleitschirm/Pilot vereinfacht betrachtet. Wir, als Pilot unter dem Schirm, betrachten lediglich die nickende Bewegung unseres Gleitschirmes. Das Ziel ist es den Schirm konstant über uns zu halten und jeder Nickbewegung sofort entgegen zu wirken.
Kurz: Schirmbewegung nach vorne, Beschleuniger lösen. Schirmbewegung nach hinten, Beschleuniger betätigen.
Bewegt sich der Schirm von seiner ruhigen Position über uns nach vorne, verlassen wir die Reisefluggeschwindigkeit und gehen aus dem Gas. Die Umgebungsluft sinkt hier mehr. Der Schirm muss die Geschwindigkeitsdifferenz ausgleichen um wieder mehr zu sinken als die Luft drum herum. Er nickt in Folge vor. Durch erhöhen des Anstellwinkels können wir dem Vornicken entgegenwirken. Bewegt sich der Schirm schnell nach vorne ist unser Lösen des Speedsystems ebenfalls schnell. Je nach Situation/Schirm/.. reicht ein schnelles aber nicht vollständiges Lösen aus.
Im umgekehrten Fall: Bewegt sich der Schirm nach hinten erhöhen wir die Reisefluggeschwindigkeit durch noch mehr Gas geben. Die Umgebungsluft steigt mehr oder sinkt weniger als zuvor. Die Überfahrt muss abgebaut werden. Der Schirm richtet sich auf und bewegt sich nach hinten. Um dem entgegen zu wirken wird Gas gegeben und der Anstellwinkel verringert.
Der Knackpunkt ist die Beobachtung nicht ausschließlich auf die Position des Schirmes im Raum zu richten, sondern die Bewegungsrichtung des Gleitschirmes zu erspüren. Ist der Schirm hinter uns, reicht es nicht pauschal Gas zu geben. Denn ist die Kappe bereits wieder auf dem Weg vom hintersten Punkt nach vorne, muss das Gas wieder gelöst werden. Nur so kann erreicht werden, dass der Gleitschirm über uns zur Ruhe kommt. Wird im Gas geblieben, schießt der Schirm über uns hinweg nach vorne. Wir haben das Pendel verstärkt. Selbiges gilt, wenn der Schirm nach vorne gependelt war. Ist die Bewegung der Kappe am vordersten Punkt wieder rückläufig, betätigen wir bereits wieder das Speedsystem. Das Ziel ist es den Schirm über uns abzufangen. Wir geben so viel Gas, dass die Nickbewegung beendet wird.
Je nach Turbulenz kann das Nicken schnell und stark ausfallen. Die Korrekturen müssen dann ebenfalls schnell und teils mit großem Weg erfolgen.
Tipp: Übe diese Abfolge mental am Boden und stell Dir den Ein- und Ausflug einer Thermik vor. Nimm dazu die Arme über den Kopf und simuliere damit die Nickbewegung deines Gleitschirmes. Mit dem Fuß gibst du entsprechend Gas.
Ein- und Ausflug einer Thermik
Mit Reisefluggeschwindigkeit sind wir unterwegs. Turbulenzen kündigen durch einen zeitgleichen Sogeffekt nach vorne die nächste Thermik an. Wir gehen leicht aus dem Gas. Der Anstellwinkel erhöht sich und Turbulenzen haben weniger Chance ein Einklappen auszulösen. Die Umgebungsluft fängt an zu sinken. Der Schirm nickt vor, wir gehen rasch aus dem Gas. Anschließend fliegen wir in den Aufwindbereich ein. Der Schirm stellt sich nach hinten auf. Wir treten mit viel Kraft das Speedsystem um dem entgegen zu wirken, bis der Schirm beginnt wieder vom hintersten Punkt über uns zu kommen und lösen rasch und vollständig das Gas. Die restliche Vorenergie der Kappe nutzen wir für die Kurveneinleitung in der Thermik.
Wollen wir den Aufwind verlassen, beschleunigen wir im Kreisen 180° bevor wir die Thermik verlassen wollen bereits leicht. Beim Rausfallen wird der Schirm in den Abwindbereich vornicken. In dem Moment lösen wir das bisschen Gas wieder. Durch den Übergang sinkende zu neutraler Umgebungsluft wird sich die Kappe leicht aufstellen. Unser Einsatz um langsam auf Reisefluggeschwindigkeit zur nächsten Thermik zu gelangen.
Achtung: Beschleunigtes Fliegen in thermischer Luft will geübt sein. Einklapper können bei Pilotenfehler schneller und heftiger ausfallen.
Wann, wie schnell?
Die McCready Theorie ist interessant zu studieren, nur für uns langsame Gleitschirmflieger ist sie kaum anwendbar. Viel zu schnell wäre die richtige Geschwindigkeit: Rolle über Rolle! An guten Streckenflugtagen sowieso. Die Grundregeln gelten aber trotzdem. Wer höher ankommen muss, ist mit der Vollgas-Theorie schnell am Boden. Ein Rückenwind oder vermindertes Sinken und der kluge Pilot, welcher die Reisefluggeschwindigkeit nur leicht über Trimmspeed setzte kommt noch über den nächsten Grat drüber. Sinkt es allerdings plötzlich deutlich stärker als normal oder hat der Gegenwind aufgefrischt und es wird turbulent, kommt nur der trainierte Pilot mit viel und routiniertem Gasgeben ins nächste Tal.
Merke: Erhöhe die Reisefluggeschwindigkeit, wenn..
.. leichter Gegenwindanteil vorhanden ist.
.. die Umgebungsluft vermehrt sinkt.
.. du sicher bist den nächsten Aufwind zu erwischen.
Fliege Trimmgeschwindigkeit, wenn..
.. du gerade planlos bist.
.. der Rückenwindanteil stark ist.
.. die Umgebungsluft vermehrt steigt.
Das Spielen mit den Parametern wird mit der Zeit zu einem gesammelten Bauchgefühl wachsen. Zumindest leicht aktiv Beschleunigen lohnt sich gegenüber Trimm fast immer.
Kontrolle bewahren
Während dem beschleunigten Flug sind die Bremsen tabu. Gleitschirme haben die Tendenz bei einem Bremsimpuls im Gas zu unterschneiden. Zwar müssen die heutigen Gleitschirme diesen Pilotenfehler vertragen ohne einen Frontklapper auszulösen (Inhalt der Zulassung), aber in turbulenter Luft kann es schnell auch anders aussehen. Um trotzdem mehr Gespür im beschleunigten Flug zu bewahren, haben alte Wettkampfpiloten ihre Finger an die A-Gurte gedrückt und konnten dadurch die Kräfte an der Kappe besser spüren. Heute nutzt fast jeder die hintersten Tragegurte. Bei einem Zweileiner ist es Standard im Geradeausflug nur mit den B-Handels zu steuern. Die Dreileiner hingegen vertragen diese Steuerung nicht alle. Manche Schirme haben die hintere Ebene geteilt aufgehängt, oder schieben unglücklich zwischen den Ebenen zusammen. Dann lässt sich zwar wenig darüber korrigieren, aber über einen ganz leichten Zug an der hinteren Ebene gewinnt man wieder mehr Gefühl für das was der Schirm über einem macht.
Achtung: Der Steuerdruck an der hinteren Ebene ist höher und der Steuerweg teils nur wenige Zentimeter lang. Ein Strömungsabriss kann leicht provoziert werden.
Auch jede Korrektur über die hintere Ebene kostet Leistung. Eine Richtungskorrektur ist ohne großen Leistungsverlust über asymmetrisches Beschleunigen realisierbar. Die tiefer gezogene Seite fliegt schneller und die Kurve wird in die entgegengesetzte Richtung erfolgen. Muss konstant asymmetrisch Beschleunigt werden, ist es nicht der Seitenwind; Selten der Schirm, hingegen oft das Gurtzeug.
Tipp: Konstantes ziehen an der hinteren Ebene für mehr Schirmfeedback, kostet übrigens auch beim 2-Leiner Leistung.
Eine Übung: Nicken mit Gas
Achtung: Folgendes am besten in Verbindung eines Sicherheitstrainings trainieren.
Nicken über das Speedsystem ist nicht die leichteste Übung. Sei Dir des aktiven Fliegens über die Bremse bereits im Klaren bevor du diese Übung angehst.
In ruhiger Luft geben wir Vollgas. Der Schirm nickt vor. Ist die Bewegungsrichtung rückläufig: Vollständig Lösen, bis der Schirm die Bewegungsrichtung wieder ändert und vom hintersten Punkt anfängt vor zu kommen. Dann wieder Vollgas geben. Je nach Schirm Modell kann es nun bereits zu einem Frontklapper kommen. Taste Dich mit kleineren Ausschlägen an diese Übung heran!
Die Ausleitung erfolgt, wenn der Schirm ganz vorne ist und anfängt seine Bewegungsrichtung nach hinten zu verändern. Wir geben Gas und verlangsamen dadurch die rückwärtige Bewegung. Ziel sollte sein den Schirm über uns zu stoppen. Er darf nicht nach hinten pendeln, dann war es zu wenig oder zu zögerliches Gasgeben. Pendelt der Schirm hingegen wieder nach vorne, wäre ein gleichmäßiges lösen des Beschleunigers das Richtige gewesen.
Ziel ist es nicht an die Anschläge deines Gleitschirmes zu gelangen. Verstehe lieber wie viel Energie entsteht bzw. umgesetzt wird, wenn du unterschiedlich viel Gas gibst oder löst. Beobachte dabei auch wie sich das Ganze verändert, wenn du schneller und langsamer Gas gibst und löst.
Sinnvolle Anwendung
Bewahre Dir Deinen Spaß am Fliegen zu jedem Zeitpunkt in der Luft. Vergiss deshalb nie genug Bodenabstand zu halten und traue Dir und Deinem Schirm nicht zu viel zu. Gasgeben lernt man am besten beim Hinterherfliegen. Der Vorflieger visualisiert die Luft und du kannst frühzeitig das Gas etwas lösen und wirst mit erhöhtem Anstellwinkel durch die Turbulenzen fliegen.
Zu viel Arbeiten über den Beschleuniger gibt es nicht! Bei manchen Vielfliegern muss die Beschleunigerleine nach zwei Saisons bereits gewechselt werden, da sie durchgescheuert ist. Geh also raus – fliegen und denke an Deinen Beschleuniger.